JEVER/WAN Die Aula des Mariengymnasiums voll mit Oberklässlern und für gut 90 Minuten ist alles mucksmäuschenstill – kaum vorstellbar. Doch genau das geschah am Donnerstag, als hier mit Antje Naujoks eine Frau auftrat, die vor 30 Jahren ihr Abitur am MG machte und nun von ihrem hochspannenden Leben in Israel berichtete.
Am Abend vorher hatte sie dies bereits unter dem Titel „Von der Nordsee in den Negev“ vor ebenfalls sehr zahlreichen Zuhörern auf Einladung des Vereins der Ehemaligen des MG getan. In der Reihe mit einstigen Schülern mit einer besonderen Karriere hatte Vereinsvize Dr. Matthias Bollmeyer sie interviewt und erstmals nach sieben Jahren war die 50-Jährige, die hier aufwuchs, nun wieder in der Heimatstadt zu Besuch, der sie einst bewusst den Rücken kehrte.
Das Anfang der 80er Jahre von Hartmut Peters initiierte Projekt „Geschichte der Juden in Jever“ hatte sie damals stark geprägt. Dass es in der Stadt noch immer antisemitische Sprüche zu hören gab und dass das auch beim Politologie-Studium in Berlin kaum besser war, ließ sie dann nach Israel gehen, wo sie in Jerusalem ihr Studium fortsetzte. Deutsch zu sprechen sei damals nicht opportun gewesen, denn unter den vier Millionen Menschen lebten noch rund 800000 Holocaust-Überlebende und auch heute noch sei die Shoa (der nationalsozialistische Völkermord an den Juden) ebenso allgegenwärtig wie das Überlebensmotto „Nie wieder!“.
Dennoch sei sie offen aufgenommen worden und habe gefühlt, dass sie „zu Hause angekommen“ sei. Längst empfinde sie sich zwar als deutschstämmig aber nicht mehr als Deutsche. Dabei sei Israel ein Land der Individualisten mit irre hohen Lebenshaltungskosten, nervtötender Bürokratie, viel Neigung zum Chaos und einer quirligen und lauten Bevölkerung mit einem Minderjährigenanteil von 25 Prozent. Trotzdem seien alle stolz auf ihr Land, das sich durch Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft auszeichne.
„Pünktlichkeit und Timing allerdings nehmen wir nahöstlich“, was bei dem von ihr geschilderten Begleitumständen wie gerade wieder im Sommer 2014 verständlich wird. Allein auf Beer Sheba, Hauptstadt der Negev-Wüste mit 200000 Einwohnern, wo sie eine Wohnung hat, gingen rund 1500 Raketen aus dem Gaza-Streifen nieder. Bei Alarm blieben 40 Sekunden Zeit, um in den Schutzraum zu eilen. Die rechtzeitige Zerstörung der Geschosse durch das „Iron Dome“-System (Eiserne Kuppel) gelinge inzwischen zwar zu 95 Prozent, doch gerade in dem Kinderheim „Neve Hanna“, für das sie seit Jahren arbeitet, gibt es statt Lebensfreude dann wieder Schlafstörungen, Bettnässen und andere psychische Beeinträchtigungen unter den 80 ohnehin aus prekären Verhältnissen stammenden Kindern zwischen acht und 16 Jahren.
Antje Naujoks ist im Übrigen stolz auf ihre Betreuung der Gedenkfeiern im einstigen KZ Bergen-Belsen, denn sie als Deutsche wurde als Ehrenmitglied im Überlebenden-Verein aufgenommen. Wie sie auch immer wieder betont, dass sie sich als eine Art Brücke empfindet, was ebenso für ihre Begegnungen mit den um Beer Sheba lebenden Beduinen gilt, von denen sie so manches Erstaunliche zu erzählen hatte. Überhaupt sei Israel ein Land vieler Religionen und Ethnien und das Leben dort kunterbunt zu nennen, wäre schlichtweg eine Untertreibung.
Abschließend lauschten besonders die Schüler aufmerksam, als die Expertin über die Absolventen eines Freiwilligen Sozialen Jahres sprach. Gerade Deutsche bildeten stets das größte Kontingent in den israelischen Einrichtungen und seien sehr willkommen.
FOTO: Antje Naujoks, Schulleiter Frank Timmermann, Matthias Bollmeyer (stv. Vorsitzender), Renate Janßen-Niemann (Ehemaligen-Vorsitzende)
14.12.2014 Autor : Wolfgang A. Niemann